EEG
Der elektrische Stuhl, das ist eine Assoziation, die ich mit dem EEG verbinde. Ein Stuhl mit Kabeln und Elektrik und einer Kappe welche aus Bändern besteht.
Es ist ein früher Freitagmorgen im April. Die Sonne ist gerade aufgegangen und wo immer ihre warmen Strahlen auftreffen, tauen sie Frost und Reif auf. Im Hintergrund höre ich das Gezwitscher von Vögeln und den Verkehr aus der nahen Stadt.
Ich laufe den geteerten Weg zum Krankenhaus entlang und erreiche den Eingang der sich automatisch öffnet.
Es ist nur die Person am Empfang anwesend, sonst ist der Eingangsbereich leer. Die Stille wird nur vom Tippen auf der Tatstatur am Empfang gestört. Es ist angenehm kühl.
Ich betrachte die Hinweisschilder und suche nach dem Wegweiser zum EEG. Als ich ihn gefunden habe folge ich ihm. Die Schilder führen mich durch leere Gänge und eine Treppe hinauf. Ich gelange in einen Raum mit mehreren Türen. Schilder beschreiben die Räume hinter den Türen. EKG, WC, Personal und EEG. Ein Stück Papier wurde mit Tesafilm an der EEG Tür befestigt: „Bitte Klopfen.“
Ich klopfe.
Moment bitte,
tönt es hinter der Tür.
Nach einem Moment geht die Tür auf. Eine mittelgroße, schlanke Frau mit kurzen schwarzen Haaren öffnet die Tür. Sie ist Anfang 30 und beklagt sich, aber mit einem freundlichen Lächeln, dass mein Klopfen sie ganz erschrocken hätte. Ihre Hand nestelt nervös in der Tasche der Krankenhausbekleidung in der anderen Tasche der blauen Schlupfjacke hängt das Mobilteil ihres Telefons.
Sie bittet mich in den kleinen Raum. In der Mitte steht ein Stuhl. Das Licht des Fensters gegenüber der Tür strahlt von hinten gegen den Stuhl. Die Schatten fallen bis zur Tür. Sitzt man auf dem Stuhl so starrt man auf die Tür.
Vom Stuhl führen Kabel zu einem Gestänge mit einem Arm und von dort zu einem Arbeitsplatz an der Wand mit Rechner und Monitor.
Der Stuhl ist im Boden fest verankert. Er hat eine höhere Lehne mit Kopfteil. Seine Armlehnen bestehen aus Metallschienen und einem Holzaufsatz auf welchen die Arme ruhen können. Lehnt man sich zurück so fährt eine Stütze für die Füße hervor. Dann kann man sich fast hinlegen. Der Stuhl ist nur und eher karg am Kopfteil und der Sitzfläche gepolstert.
Die Frau bittet mich die Jacke auszuziehen und mich zu setzen. Ich hänge die Jacke an den Plastikhaken an der Wand und setze mich auf den Stuhl. Ich soll mich zurücklehnen sodass ich fast liege. Die Frau merkt an das ich zu groß für den Stuhl bin. Es wird schon gehen, ich soll eine bequeme Haltung einnehmen.
Zuerst werden meine Hände verkabelt. Dann nimmt die Frau die Kappe zur Hand. Sie besteht aus Bändern, die quasi ein Netz bilden. Die Frau steht hinter mir und setzt mir die Kappe auf den Kopf. Sie erklärt mir, dass sie mir Elektroden unter der Kappe auf meinen Kopf befestigen wird. Unter die Elektroden schmiert sie eine Leitpaste, die man später aber einfach wieder auskämmen könne. Sie befestigt mehr als 20 Elektroden auf meinem Kopf. Die kühlen und feuchten Elektroden berühren meine Kopfhaut. Manchmal fällt eine herunter was die Frau mit einem genervten Schnaufen kommentiert. Das zweite Schnaufen welches ich hinter mir höre wenn sie die Elektrode dann aufhebt wirkt dagegen eher angestrengt.
Ihr Schatten tanzt mit dem Schatten des Stuhls an der Tür.
Nachdem sie fertig und ich verkabelt bin setzt sie sich an den Arbeitsplatz. Ich kann sie aus den Augenwinkeln sehen. Ab und zu klickt sie mit der Maus.
Sie gibt routinierte Kommandos.
Schließen sie die Augen
Öffnen sie die Augen
Das wiederholt sich. Manchmal sind meine Augen länger geschlossen. Die Warme Sonne strahlt auf meinen Rücken.
Die Maus klickt.
Schließen sie die Augen
Das Prozedere ist fast meditativ. Ich verliere das Gefühl für die Zeit.
Öffnen sie die Augen
Die Schatten der Bäume vor dem Fenster schwingen an der Tür.
Schließen sie die Augen
Es ist dunkel. Meine Gedanken beginnen abzudriften. Wie das wohl für die Frau ist? Sie starrt auf den Bildschirm. Es ist immer dasselbe für sie, tagein tagaus. Meine Augen sind geschlossen. Ich merke gar nicht was sie macht wenn meine Augen zu sind. Vielleicht sitzt sie dann gar nicht am Rechner.
Ich würde gar nicht merken wenn sie aufsteht und leise die Tür öffnet, hindurchgeht und sie wieder ebenso leise schließt. Sie geht in das Zimmer für das Personal. Sie wechselt ihre Kleidung und zieht ihre Jacke an. Sie geht durch die stillen Krankenhausgänge, schreitet die Treppe hinab, passiert die Person am Empfang und verlässt das Gebäude.
Vor der Tür nimmt sie einen tiefen Atemzug der frischen, kühlen Aprilluft.
Sie läuft den geteerten Weg entlang. Er führt sie zur Stadt. Trotz des Volksfests sind die Straßen recht leer. Es ist ja noch früher Vormittag. Die Frau schlendert durch die Stadt. Sie gelangt in eine Fußgängerzone. Es gibt hier viele Geschäfte und Kneipen. Die ersten Bratwurstbuden und Verkaufsstände öffnen.
Die Frau beschließt etwas zu essen und geht zu einem der Bratwurststände. Sie bestellt sich ein Paar Bratwürste im Brötchen mit Senf. Sie zahlt, nimmt die Bratwürste entgegen und möchte gehen. Doch gerade als sie sich umdreht stößt sie gegen eine hochgewachsene Person. Sie schaut direkt auf die Brust des Mannes gegen den sie gerade gestoßen ist. Ihr Blick wandert hinauf zu seinem Gesicht. Er hat braune Haare und wirkt gepflegt. Sie schaut wieder hinab und sieht das sie Senf über seine Jacke geschmiert hat.
Hastig und peinlich berührt entschuldigt sie sich und fängt an in ihren Jackentaschen nach einem Taschentuch zu suchen um den Senf zu entfernen.
Der Mann beschwichtigt sie, schnappt sich eine Serviette vom Bratwurststand und wischt den Senf so weit es geht ab.
Sie geraten in ein Gespräch, tauschen Nummern aus und verabreden sich abends aufs Volksfest zu gehen.
Die Frau geht nach Hause, schaut etwas fern und beginnt sich am frühen Abend auf das Date vorzubereiten. Die Zwei treffen sich auf dem Volksfest und verstehen sich auf Anhieb gut. Sie kommen sich näher und beschließen mehr daraus zu machen. Sie verbringen die Nacht gemeinsam in der Wohnung der Frau. Nach einiger Zeit ziehen sie zusammen. Sie planen für die Zukunft. Sie mieten gemeinsam eine größere Wohnung. Die Zeit vergeht und die Frau wird schwanger. Sie bekommen ein kleines gesundes Mädchen. Das Mädchen ist aufgeweckt, neugierig und intelligent. Es interessiert sich für alles mögliche. Nach dem Kindergarten und der Grundschule kommt es auf Gymnasium. Es studiert und erhält eine gut bezahlte Anstellung bei einem großen Konzern. Ihre Eltern leben sich aber zunehmend auseinander. Sie trennen sich. Sie ziehen in verschiedene Wohnungen.
Die Frau fühlt sich einsam. Sie ist alleine in ihrer Wohnung. Sie geht schlafen. Am nächsten Morgen steht sie auf. Macht Kaffee und genießt am Tisch nahe des Fensters ihr Marmeladenbrot und ihren warmen Kaffee. Es ist April. Die Sonne ist gerade aufgegangen und verjagt den Frost wo immer sie auf ihn trifft.
Die Frau steht auf und begibt sich auf den Weg zur Arbeit. Die Vögel zwitschern und der Verkehr der nahen Stadt rauscht im Hintergrund.
Die Frau läuft den geteerten Weg zum Eingang des Krankenhaus entlang. Die Tür öffnet sich automatisch als die Frau näherkommt. Es ist still. Nur die Tastatur der Person am Empfang klappert.
Die Frau geht leere Gänge entlang und die Treppe hinauf. Sie wechselt im Personalraum ihre Kleidung und hängt das Mobilteil des Telefons an die Kitteltasche der Krankenhausbekleidung.
Sie betritt ihren Arbeitsraum und setzt sich vor den Rechner. Sie klickt mir der Maus.
Öffnen sie die Augen
Ich öffne die Augen. Die Frau geht hinter mich und den Stuhl. Sie entfernt nach und nach die Elektroden von meinem Kopf. Manchmal fällt eine herunter was die Frau mit einem genervten Schnaufen kommentiert. Das zweite Schnaufen welches ich hinter mir höre wenn sie die Elektrode dann aufhebt wirkt dagegen eher angestrengt. Auch die Elektroden von meinen Händen werden entfernt.
Die Frau erklärt mir nochmal dass ich die Leitpaste später einfach rauskämmen kann.
Die Ergebnisse bekomme ich später.
Ich nehme meine Jacke vom Plastikhaken und streife sie über.
Ich gehe die Treppe hinab und durch die leeren Gänge. Ich passiere die Person am Empfang und verlasse das Gebäude.
Vor der Tür nehme ich einen tiefen Atemzug der frischen, kühlen Aprilluft.
Ich laufe den geteerten Weg entlang und lasse das Krankenhaus hinter mir.